Im Innenohr des Menschen befindet sich neben dem Sinnesorgan für das Hören (der Hörschnecke oder Cochlea) auch das Sinnesorgan für die Registrierung von Körperbewegungen, genauer gesagt, von Beschleunigungen, denn gleichförmige Bewegungen werden nicht wahrgenommen (wir haben kein Gefühl dafür, dass wir uns im Flugzeug mit 1000 km/h fortbewegen, nehmen aber Start und Landung sehr wohl wahr). Die Nervenzellen für diese Empfindung befinden sich zum Einen in den drei Bogengängen des sogenannten Labyrinthes und registrieren Drehbeschleunigungen in den drei Raumachsen, zum Anderen in zwei Hohlräumen – dem Utrikulus für waagerechte Beschleunigungen und dem Sakkulus für senkrechte.

Die Aufgabe dieser Sinnesorgane besteht nun darin, ihre registrierten Signale an die Nervenzellen weiterzuleiten, die für die Bewegungen der Augen und der Körpermuskeln verantwortlich sind. Damit wird die Körperstatik aufrechterhalten und die Augen können Körperbewegungen ausgleichen als Bedingung für ein ruhiges Blickfeld. Führen wir eine Körperdrehung um eine senkrechte Achse aus, werden die Augen zunächst entgegen der Drehrichtung bewegt. Das geht natürlich nur bis zu einem bestimmten Grad der Abweichung, dann folgt eine rasche Augenbewegung in Drehrichtung. Bei fortgesetzter Körperdrehung wird sich diese Abfolge der langsamen Augenbewegung entgegen der Drehrichtung und der schnellen in Drehrichtung immer wiederholen. Diese Form der Augenbewegung heißt Nystagmus und ist ein wichtiges Indiz für das Funktionieren oder auch die Störung der Gleichgewichtsfunktion des Körpers.

Das eben geschilderte Phänomen von Augenbewegungen bei Körperdrehung können wir auf dem Dreh-Pendel-Stuhl (Fa. cn otometrics) simulieren. Der Stuhl kann durch elektronische Steuerung eine gleichmäßig beschleunigte Drehbewegung durchführen und plötzlich Abstoppen. Nach einer Pause wird der Test in umgekehrter Richtung durchgeführt.

Die Augenbewegungen des Patienten werden mit einer Videonystagmografiebrille registriert, durch die er selbst nichts sehen kann. Die Augenbewegungen werden also alleinig durch die Funktion des Gleichgewichtsorgans verursacht.

In der Brille befindet sich eine kleine Kamera, die die Augenbewegung aufzeichnet und an einen Computer weiterleitet. Dieser errechnet daraus eine Kurve, bei der senkrecht nach oben die Augenbewegung nach rechts und senkrecht nach unten die nach links aufgezeichnet wird. Die Waagerechte (Abszisse) ist die Zeitachse der Registrierung. Bei normaler Funktion des Gleichgewichtsorgans werden bei dieser rotatorischen Labyrinthprüfung infolge der gleichmäßigen Beschleunigung des Drehstuhls auch die Abfolge von langsamer und schneller Augenbewegung immer gleichmäßig wiederholt – es entsteht eine Sägezahnkurve mit gleichmäßigen Zacken (/ schräg nach oben oder \ nach unten) durch langsame Bewegung und jeweils gefolgt von steil nach unten oder oben (I)der schnellen Bewegung.

/I/I/I/I/ (Rechtsdrehung) bzw.\I\I\I\I (Linksdrehung).

Nach plötzlichem Abstoppen wechseln die Augenbewegungen ihre Richtung:

/I/I/I/I/I/Stop\I\I\I\I\I\I (hier Abstoppen aus der Rechtsdrehung – die Ursache wird weiter unten erkärt).

Der gleiche Drehtest in Gegenrichtung muss das umgekehrte aber symmetrische Kurvenverhalten ergeben, wenn das rechte und linke Gleichgewichtsorgan normal und seitengleich funktionieren, andernfalls überwiegen die Sägezähne in einer Richtung durch Größe und/oder Häufigkeit. Mit dem Drehstuhltest kann man also nur beide Gleichgewichtsorgane zusammen untersuchen.

Für den Hals-Nasen-Ohren-Arzt ist es aber auch wichtig, die Funktion eines Gleichgewichtsorgans isoliert zu überprüfen. Um zu erklären, wie das geht, muss auch die Funktionsweise der Nervenzellen im Labyrinth erläutert werden: Die Bogengänge des Labyrinthes sind mit Flüssigkeit gefüllt. Die Nervenzellen befinden sich in einer Anhäufung in der sogenannten Ampulle des Bogenganges und tragen kleine Haarfortsätze, die in die Flüssigkeit hineinragen. Diese Härchen sind an ihren Enden zusätzlich mit Kristallen (Otolithen) beschwert. Die Nervenzelle des Gleichgewichtsorganes sendet in Ruhe pausenlos kleine Stromstöße durch den Gleichgewichtsnerven in Richtung Gehirn (Grundfrequenz). Werden die Härchen der Sinneszellen nun aber in die eine oder andere Richtung ausgelenkt, wird diese Frequenz elektrischer Nervenimpulse erhöht oder abgesenkt. Senden die Sinneszellen des rechten und linken Gleichgewichtsorgans die gleiche Frequenz, ist das für unser Gehirn Ruhe, also keine oder gleichförmige Bewegung aber keine Beschleunigung. Bei unterschiedlichen Frequenzen wird dagegen Körperbeschleunigung registriert und ein Nystagmus zur Blickstabilisierung ausgelöst.

Die Ablenkung der Sinneszellhärchen erfolgt durch Bewegung der Innenohrflüssigkeit, ähnlich wie Seegras Wasserströmungen folgt. Die Innenohrflüssigkeit selbst führt eine Relativbewegung aus, wenn der Körper bewegt (beschleunigt) wird, so wie Wasser in einem Gefäß, welches man dreht, auch erst hinter der Bewegung der Gefäßwand zurückbleibt und allmählich in einen Strudel versetzt wird. Die Sinneszellen mit den eintauchenden Härchen muss man sich dabei fest an der Gefäßwand anhaftend vorstellen – sie würden entgegen der Drehrichtung durch das zurückbleibende Wasser abgelenkt. Ist aber auch das Wasser in die Drehbewegung versetzt worden und dreht sich genau so schnell wie die Gefäßwand, würden die Härchen gerade in das Wasser eintauchen. Wird nun das Gefäß plötzlich wieder festgehalten, dreht sich der Wasserstrudel relativ zur Gegenrichtung des Gefäßes, eintauchende Sinneshärchen würden zur Gegenseite umgelenkt. Das erklärt das oben geschilderte Phänomen nach plötzlichem Abstoppen des Drehstuhles.

Aufgrund der symmetrischen Anordnung des rechten und linken Gleichgewichtsorganes werden die Sinneshärchen bei einer Drehung genau um die Körperlängsachse auf der rechten und linken Seite gegenläufig ausgelenkt, was also zum Nystagmus führt.

Durch Zufuhr von Wärme oder Kälte kann die Innenohrflüssigkeit in bestimmte Richtungen in Bewegung versetzt werden (erwärmt man Wasser, beginnt sich dieses zu bewegen, wärmere Schichten steigen auf).
Bei der kalorischen (oder auch thermischen) Labyrinthprüfung werden beide Gehörgänge eine definierte Zeit lang (meist 20 Sekunden) mit Wasser in einer Temperatur von 30o und dann 44o gespült (das sind von der Körpertemperatur = 37o jeweils 7o nach oben und unten).

Durch die damit ausgelöste Flüssigkeitsströmung werden also nur die Sinneshärchen der gespülten Seite ausgelenkt, je nach Strömungsrichtung (warm oder kalt) wird die Frequenz der Nervenimpulse erhöht oder vermindert, die Nervenzellen der anderen Seite senden dagegen nur die Ruhefrequenz. Das führt bei normaler Gleichgewichtsfunktion also zu einem Nystagmus und zum subjektiven Eindruck einer Körperbewegung. Durch den Datenkonflikt, dem unser Gehirn nun unterliegt (wir wissen ja, dass wir uns gar nicht bewegen) wird vorübergehend Schwindel ausgelöst. Dieser klingt beim Test nach ca. 30 Sekunden wieder ab.

Ist es aber krankheitsbedingt zu einem plötzlichen Ausfall der Labyrinthfunktion gekommen, senden die Nervenzellen der kranken Seite gar keine Impulse. Da die Zellen der gesunden Seite weiter in Grundfrequenz senden, wird wiederum ein Nystagmus (Ausfallsnystagmus, die schnelle Phase schlägt in Richtung zum gesunden Ohr) und heftiger Schwindel mit Übelkeit und Erbrechen ausgelöst.

Bei der kalorischen Prüfung der kranken Seite kann dieser Nystagmus auch nicht beeinflusst werden, er besteht unverändert als Spontannystagmus fort.

Umgekehrt können entzündliche Erkrankungen, die das Gleichgewichtsorgan erreichen, die Entladungsfrequenz der Nervenzellen erhöhen, hier schlägt die schnelle Phase dieses „Reiznystagmus“ in die Richtung zum kranken Ohr. Durch die seitendifferente Nervenfrequenz wird auch hier Schwindel ausgelöst.

Ist es jedoch durch Nervenerkrankungen oder zum Beispiel einem Tumor am Gleichgewichtsnerven zum langsamen Ausfall der Funktion des Gleichgewichtsorganes gekommen, hat dies zu keinem oder nur vorübergehenden Schwindel geführt. Auch ein Nystagmus tritt dabei nicht so deutlich auf, weil sich das gesunde Gleichgewichtsorgan nach einiger Zeit an die Entladungsfrequenz der kranken Seite anpasst (Habituation). Hier würden wir aber mit dem kalorischen Test auf der gesunden Seite einen Nystagmus auslösen, auf der erkrankten dagegen nicht.

Die Beobachtung der Nystagmen durch den Arzt erfolgt zunächst mit einer sogenannten FRENZEL-Brille, durch die der Patient nichts sehen kann (Ausschluss optischer Eindrücke), und die Augen optisch vergrößert werden.

Die Registrierung der Nystagmen bei der kalorischen Prüfung nehmen wir aber wie oben beschrieben mit der Videonystagmografie vor.

Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Plastische Operationen, Stimm- und Sprachstörungen